Prypjat – Die Stadt nahe dem berüchtigten Tschernobyl Reaktor
Vor jenem berüchtigten Unfall von Tschernobyl am 26. April 1986 kannte man die Stadt Prypjat kaum. Niemand außerhalb der Ukraine wusste von der kleinen Stadt, die ungefähr 50.000 Einwohnern ein Zuhause bietet. Unmittelbar nach der Katastrophe im Reaktor 4 des Tschernobyl-AKW waren Prypjat und der Ort Tschernobyl zuerst betroffen. Zwar trägt der Reaktor, der offiziell “Tschernobyler Atomkraftwerk namens W. I. Lenin” heißt, umgangssprachlich den Namen der Stadt Tschernobyl. Eigentlich ist dieser Ort aber 18 Kilometer entfernt, Prypjat selbst nur vier. Die Stadt war und ist deshalb viel stärker von der Reaktor-Havarie betroffen, als jede andere Stadt oder Ort in der Ukraine.
Die Stadt Prypjat unmittelbar nach der Explosion
Die Bewohner von Prypjat wurden nicht sofort gewarnt, oder auf die Katastrophe aufmerksam gemacht. Im Gegenteil: Weil selbst der zum Zeitpunkt der Katastrophe leitende Ingenieur die Reaktorexplosion verleugnete, rückte die Feuerwehr nur wegen eines Brands auf dem Dach aus. Als die vor der Strahlung ungeschützten Feuerwehrmänner ankamen, starben mehrere von ihnen sofort. Dutzende verstarben in den Krankenhäusern von Moskau und Kiew durch akute Strahlenvergiftung.
Doch es war die Zivilbevölkerung, die bis kurz vor der Evakuierung nichts von dem Ausmaß der Katastrophe wusste. So vergingen 36 Stunden, bis die Menschen evakuiert wurden. Erst wenige Stunden davor – es war der 27. April in der Mittagszeit – wurde per Radio bekanntgegeben, dass sich die Menschen auf eine Evakuierung für drei Tage gefasst machen sollten. Deshalb sollte nur das Notwendigste mitgenommen werden. Zwar gingen Winde an den zwei Tagen bis zur Evakuierung günstig, sodass radioaktive Partikel primär in anderen, eher menschenleeren Gegenden auf die Erde fielen.
Strahlenbelastung in Prypjat
Dennoch ist die Verantwortungslosigkeit der sowjetischen Obrigkeiten wohl nirgends deutlicher zu sehen, als in Prypjat vom 26. bis zum 27. April 1986. Die Stadt hatte knapp 50.000 Einwohner – rund 10.000 davon waren Kinder und Jugendliche. Die Tage nach dem Unfall waren von Sonnenschein und bester Witterung geprägt. Viele Menschen und insbesondere Kinder verbrachten den Tag nach der Explosion im Freien. Durch die Geheimhaltungs- und Desinformationspolitik wussten sie von der Havarie im Reaktor nichts.
Die Strahlenwerte waren trotz günstiger Windlage absolut gesundheitsschädlich. Die Strahlung betrug circa 0,4 Röntgen pro Stunde. Das bedeutete, dass die Bevölkerung damals innerhalb von wenigen Minuten jährliche Maximalwerte für die Zivilbevölkerung überschritt. Die Folge waren oftmals Leukämie- und andere Krebserkrankungen, Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten. Wie viele Menschen aus Prypjat tatsächlich als Folge des Tschernobyl-Unfalls erkrankt oder gestorben sind, ist in absoluten Zahlen nicht mehr eindeutig erfassbar.
Die Geisterstadt Prypjat heute
Nach der Räumung von Prypjat konnten die Menschen Monate später ein einziges Mal zurück, um Hab und Gut mitzunehmen. Logistisch bedingt wurde dennoch sehr viel zurückgelassen. So ist die Geisterstadt Prypjat bis heute Opfer von Vandalismus und Plünderungen.
Ist Prypjat heute wirklich ganz menschenverlassen? Nein. Deshalb trifft die Bezeichnung Geisterstadt auch nur zu einem gewissen Grad zu. Denn heute leben einige hundert Menschen in der verlassenen Stadt und hauchen ihr so zu einem gewissen Grad Leben ein. Das sind illegale Siedler, die von der Miliz (ukrainischen Polizei) geduldet werden. Aber auch einige Wissenschaftler und natürlich Mitarbeiter der Behörden und Arbeiter sind vor Ort. Notwendige Infrastruktur für den Fall einer erneuten Havarie wird in Prypjat erhalten, um im Fall der Fälle adäquat reagieren zu können. Daran arbeiten auch heute noch rund 4.000 Menschen, die in 2-Wochen-Schichten in Prypjat tätig sind.